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Antwerpen hat einfach ein atemberaubendes Ambiente, in welches man innerhalb kürzester Zeit hineingesogen wird. Einst war die Hafenstadt im 15. und 16. Jahrhundert eine der größten der Welt und noch heute ist sie das weltweit wichtigste Zentrum für den Handel von Diamanten.

  • Bahnhof Antwerpen Centraal

    Der schönste Bahnhof der Welt

  • Das MAS

    Museum aan de Stroom

  • Sint-Annatunnel

    Der historische Fußgänger-Tunnel unter der Schelde

  • Het Steen

    Niederungsburg aus dem 12. Jahrhundert

  • Grote Markt

    Prachtvoller Marktplatz mit Rathaus

Es war 6:45 Uhr morgens, und der Tag hätte nicht trüber beginnen können. Düsseldorf präsentierte sich in seinem schönsten Grau, während wir im strömenden Regen zu dem auf den Tickets angegeben Abholadresse liefen; eine verlassene Bushaltestelle ohne jegliche Infos. Unser Flixbus nach Antwerpen sollte eigentlich jeden Moment kommen, doch von einem Bus war weit und breit keine Spur. Nervös marschierten wir die Straße auf und ab, befragten ein paar müde Passanten, die jedoch allesamt mit Achselzucken reagierten. Mittlerweile war es schon 7:20 Uhr, und unsere Hoffnung, noch irgendwie nach Antwerpen zu kommen, schwand zusehends. Da entdeckte ich am Ende der Straße einen schwarzen Bus anrollen. Kein grüner Flixbus, aber immerhin ein potenzielles Gefährt, das Menschen scheinbar irgendwohin chauffierte. Ohne lange nachzudenken, stiegen wir ein, und siehe da: Es war tatsächlich unser Bus! Doch anstatt sofort loszufahren, mussten wir weitere 35 Minuten auf dem Parkplatz ausharren, während andere Reisende offenbar immer noch irgendwo draußen im Regen verzweifelt nach uns suchten. Insgesamt um 1 Stunde und 20 Minuten verspätet, setzten wir uns schließlich in Bewegung – auf dem Weg in die pittoreske Großstadt Flanderns.

Das Hostel "The Ash" war unsere erste Anlaufstelle, als uns der Möchte-gern-Flixbus schließlich am Bahnhof Antwerpen ausspuckte. Schon von Weitem wurden wir von kräftigen Bassschlägen begrüßt, denn im Foyer war die Party bereits in vollem Gange, und das Lächeln an der Rezeption verriet uns, dass wir uns auf eine laute Nacht einstellen konnten. Was gefeiert wurde, fanden wir nicht heraus, aber wir bekamen zwei Getränkegutscheine in die Hand gedrückt – da kam Feierlaune auf!

Nachdem wir unsere Rucksäcke im Zimmer verstaut hatten, zog es uns hinaus in die Stadt. Unser erster Weg führte uns zurück zum majestätischen Hauptbahnhof, der schon von außen ein wahres Meisterwerk der Architektur war. Der Bahnhof Antwerpen-Centraal wurde 1905 eröffnet und empfang seine Besucher:innen mit einer imposanten Fassade aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die Hauptfront ist im Beaux-Arts-Stil gehalten und imponierte mit einer prächtigen Kombination aus Steinen, Stuck und filigranen Details. Zwei markante Türme flankierten den Eingang, und darüber erhob sich eine gigantische Kuppel aus Glas, welche einen faszinierenden Anblick im Inneren versprach. Die Schönheit des Inneren war für mich kaum zu begreifen: Die Eingangshalle öffnet sich in einem grandiosen Raum mit zahlreichen Fenstern, gesäumt von Rundbögen und barocken Balkonbrüstungen. Der Boden bestand aus glattem, poliertem Marmor und eine beeindruckende, zweigeteilte Treppe führte zu den Gleisen, welche durch das hindurchdringende Tageslicht der majestätischen Glaskuppel erhellt wurden. Das Highlight war aber die wunderschöne mechanische Uhr, die über dem Eingang hing; sie war ein Relikt aus dem frühen 20. Jahrhundert, die die Zeit nicht nur zu messen, sondern auch in sich zu tragen schien. Das Zifferblatt hatte einen Durchmesser von ca. 3 Metern und war mit römischen Ziffern versehen, die auf einem Hintergrund aus Emaille angebracht waren. Jetzt verstand ich, warum dies als einer der schönsten Bahnhöfe der Welt galt.

Von dort aus spazierten wir durch das Diamantenviertel, das seinen Namen nicht ohne Grund trägt. Hier werden seit dem 15. Jahrhundert rund 80% der Rohdiamanten und 50% der geschliffenen Diamanten weltweit werden gehandelt. Vor über 100 Jahren war es der Reichtum der Antwerpener Diamantenhändler und Reeder, die das dringend benötigte Kapital für die Olympischen Spiele einbrachten, welche die Stadt als Dank für den bewiesenen Mut während des Ersten Weltkriegs organisieren durfte. In den engen Straßen reihten sich die Geschäfte und Büros der Diamantenhändler dicht aneinander und wir kamen an prachtvollen Häusern vorbei. Den gepflasterten Straßen folgten wir bis zur alten Handelsbörse, einem Gebäude, das von außen eher unscheinbar, im Inneren aber einen märchenhaft Anblick bot. In der Mitte der Halle stand ein prächtiges Piano – und da konnte ich nicht widerstehen. Ich genierte mich nur kurz, haute aber schließlich doch in die Tasten und der volle Klang erfüllte das prachtvollen Gebäude auf eine Weise, die mich für einen Moment alle anderen Menschen vergessen ließ.

Anschließend führte es weiter uns weiter zum Melkmarkt und zur Liebfrauenkathedrale, ein gotisches Meisterwerk aus dem 16. Jahrhundert , dessen spitzer Glockenturm sich anmutig in den Himmel erstreckte, markiert von je einem goldenen Zifferblatt pro Himmelsrichtung. Hungrig von unserem Marsch, machten wir am Grote Markt Halt, um uns mit einer Portion Pommes zu stärken. Mit der belgischen Delikatesse in der Hand spazierten wir weiter zum Riesenrad am Steenplein, welches 2007 zur Feier des 75. Jubiläums des Antwerpener Jahrmarkts aufgestellt worden war. Direkt daneben thronte die Burg Steen, eine mittelalterliche Festung aus dem 13. Jahrhundert, die als Verteidigungsanlage gegen die Piraten des Flusses Schelde diente. Heute beherbergt die Burg das Stadtmuseum, das die Geschichte Antwerps anschaulich vermittelt. An der Schelde entlang liefen wir zum beeindruckenden Museum aan de Stroom (MAS), welches 2011 eröffnet wurde und Sammlungen zu Antwerpens Geschichte, Hafenentwicklung und Kulturen aus aller Welt ausstellte. Die futuristische Architektur des Gebäudes war einfach faszinierend, roter Klinkenstein traf auf aufwendig gebogenes Glas, indem sich der zweitgrößte Hafen Europas brach. Außerdem hielt es seinen Besucher:innen eine frei zugängliche Aussichtsplattform bereit, die in etwa 60 Metern Höhe einen beeindruckenden 360-Grad-Blick über die Stadt bot. Also betraten wir das Innere und ließen uns von neun (!) Rolltreppen nach oben geleiten, wo wir schließlich den Blick über die Stadt schweifen lassen und uns orientieren konnten. Der Sonnenuntergang tauchte die zahlreichen Glockentürme in ein warmes Licht und einzelne Lichter warfen einen schimmernden Glanz auf die Schelde und das Hafenbecken.

Am Abend gingen wir zurück zum Grote Markt, um an einer Free Walking Tour teilzunehmen, in der wir die dunkle Seite der Stadt kennenlernen sollten, einschließlich alter Legenden, gruseliger Geschichten und des Rotlichtviertels. Die Tour wurde auf Basis von Trinkgeldern angeboten und folgte dabei dem Prinzip "Pay what you like". Unser Guide stellte sich als als Luc vor, ein humorvoller Einheimischer mit weißem Haar, der uns in den Folgenden zwei Stunden auf englisch allerhand interessante Fakten und persönliche Geschichten erzählen sollte. Wir tauchten also von der Abenddämmerung umgeben, in enge, verwinkelte Gassen aus dem 16. Jahrhundert ein, unter anderem der wunderschönen Vlaaikensgang. Dann ging es nochmal zur Burg Steen, welche im Abendlicht weniger märchenhaft und sehr viel bedrohlicher wirkte. Von dort aus liefen wir gemeinsam, dem roten Regenschirm Luca hinterher, zur ehemaligen Fleischerhalle Vleeshuis, ein faszinierendes Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, das einst das Zentrum des Fleischerhandwerks war. Heute beherbergte es ein kleines Museum, das die Geschichte der Fleischerei und das Leben in Antwerpen zu dieser Zeit thematisierte. Die Vorstellung historischer Schlachtung in den Kellergewölben des Gebäudes gruselte mich und ich war froh, als es weiter zur römisch-katholischen Sankt Pauluskirche ging, in der 1968 ein großer Brand ausbrach, während dem zahlreiche Kunstwerke entwendet wurden waren. Lucs Ehefrau hatte dieses dramatische Ereignis mit eigenen Augen gesehen. Mittlerweile hatten alle Stücke aber zurückgefunden. Anschließend wurden wir zum Studentenviertel Stadswaag geführt, das ihren Namen aus dem 16. Jahrhundert hatte. Denn hier kamen die früheren Kaufleute hin, um ihre Waren zu wiegen, bevor sie in der Stadt verkauft werden durften. 1914 schlug hier eine Bombe ein, die von einem deutschen Zeppelin geworfen wurde und den ehemaligen Handelsplatz und alle umliegenden Straßen zerstörte. Jahre später übernahmen Hippies und Punks den Stadtteil und verwandelten ihn in ein lebendigen Ort, von Diskotheken und Tanzbars dominiert. Von hier aus ging es an charmanten Cafés und Bars vorbei weiter zum Schipperskwartier, einem Stadtviertel das für seine lebhafte Rotlichtstraße bekannt war. Jene wurde offiziell als "de Wallen" bezeichnet und war gut beleuchtet,  und sauber. Hier galten strenge Regulierungen, die den Schutz der Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Sexarbeiter:innen sicherstellen sollen. So gibt es eine ständige Polizeipräsenz, und die Arbeitsräume sind mit Notrufknöpfen ausgestattet, die im Falle einer Gefahr schnell Hilfe herbeirufen können. Außerdem verlangt die Stadt, dass die Betreiber:innen der Etablissements auf der Rotlichtstraße über eine spezielle Lizenz verfügen und sicherstellen, dass die Räumlichkeiten hygienisch sind und den Sicherheitsstandards entsprechen. Es gibt regelmäßige Kontrollen durch das Gesundheitsamt, um die Einhaltung dieser Vorschriften zu gewährleisten. Darüber hinaus wird den Sexarbeiter:innen Zugang zu kostenlosen medizinischen Untersuchungen und Beratungen angeboten und sie können städtische organisierte juristische Beratung und psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen oder Hilfe beim Übergang in andere Berufe erhalten.
Von hier aus ging es erneut auf die Aussichtsplattform des MAS, um einen Blick über die Stadt bei Nacht zu erhaschen. Anschließend verabschiedeten wir uns von Luc, einem großartigen Guide, der mit Trinkgeldern, Lob und Dankesworten angemessen überschüttet wurde und einer nach dem anderen passierten wir die neun Rolltreppen Richtung Ausgang, von wir uns auf den Weg zu unserem Hostel machten.

Am nächsten Morgen, nach einer erstaunlich ruhigen Nacht im Hostel, checkten wir früh aus und machten uns mit einem Coffee-to-go auf zum Plantentuin. Der botanische Garten war ein friedlicher Ort, der mit seinen gläsernen Gewächshäusern und blühenden Pflanzen eine Oase der Ruhe in der belebten Stadt bot. Danach schlenderten wir in den ersten Sonnenstrahlen durch die Theaterbuurt, wo die alte Straßenbahn charmant durch die Straßen rumpelte, als wolle sie uns an längst vergangene Zeiten erinnern. Unser Ziel war der Antiquitätenflohmarkt, wo wir allerhand schöne Dinge entdeckten, darunter altes Besteck, Vintage Uhren, ergraute Gemälde oder wundervolle alte Kameras. Eine kleine Pause gönnten wir uns auf dem Waterbus, einem kleinen Schiff, das uns kostenlos auf das Linkeroever der Schelde brachte, von wo aus wir einen wunderbaren Ausblick auf die Skyline der Stadt hatten. Vom Sint Anna Tunnel, einem nostalgischen Fußgängertunnel mit Holzrolltreppen, ging es zurück auf das Hauptufer. Mit der U-Bahn ging es dann ins Stadtteil Zurenborg zur Cogels-Osylei, einer Straße, in der prachtvolle Villen den Glanz vergangener Zeiten aufbewahrten. Die Straße entstand in der wirtschaftlichen Blütezeit Antwerpens im 19. und 20. Jahrhundert, als die Stadt einen raschen industriellen und wirtschaftlichen Aufschwung erlebte und zu einem Boom in der Bautätigkeit führte. Wohlhabende Bürger:innen und Unternehmer:innen zogen in die Stadt und ließen sich extravagante Wohnhäuser errichteten. Von prachtvollen Jugendstilfassaden bis hin zu opulenten neugotischen und neoklassizistischen Elementen, von aufwendig verzierten Stuckarbeiten und kunstvollen Schmiedeeisengittern bis hin zu eleganten Zierleisten und beeindruckenden Eingangstoren; die architektonische Vielfalt und Schönheit der Gründerzeitbauten war einfach atemberaubend. Unsere Reise endete am Flixbus-Stopp, wo unser Bus – diesmal ein grüner – pünktlich bereitstand, um uns in die nächste belgische Großstadt zu bringen: Brüssel!

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